Carl Amery - Humanist und Rebell

 


Eröffnung der Veranstaltung
Bayerns unbequeme Stimme – der Humanist und Rebell Carl Amery

Monacensia
11. 4. 2011, 19.00 Uhr

Siegfried Benker, Fraktionsvorsitzender
Bündnis 90/Die Grünen – rosa Liste


Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

Carl Amerys Biografie reicht weit ins letzte Jahrhundert hinein. Deshalb ist es nicht mehr selbstverständlich dass allen die Lebensdaten dieses Mannes noch präsent sind. Lassen Sie mich deshalb mit einem kurzen biografischen Abriss beginnen.

Carl Amery war einer der zornigen jungen Männer der jungen Bundesrepublik. Geboren fast auf den Tag genau heute vor 89 Jahren am 9. April 1922 in München. Aufgewachsen in einem tief katholischem Umfeld – mit einem Vater, der Professor für Liturgiegeschichte an den Theologisch-Philosophisch Universitäten von Passau und Freising war, erlebte er schon früh sowohl die Zwänge des Katholizismus und der Amtskirche – aber auch die aufgeklärte Atmosphäre und geistige Freiheit die ein Katholizismus von unten auch bieten kann.

So früh geboren, dass er gerade noch bewusst erleben konnte, wie die erste Deutsche Demokratie zerstört wird – und um eingezogen zu werden und 1943 in amerikanische Kriegsgefangenschaft zu kommen. 1946 nahm er sein Studium der Literaturwissenschaft, das er durch den Krieg unterbrechen musste, wieder auf – in München. Amerys Leben – so universell er dachte – und auch wenn er einen Teil seines Studiums in Washington absolvierte – war doch immer stark auf den bayerischen katholischen Lebenskreis konzentriert. Er war sicher einer jener Freigeister, die ihre Freigeistigkeit leben konnten weil sie ein festes geistiges Fundament hatten – eines das immer auch heimatgebunden geblieben ist.

Carl Amery wurde einer der zornigen Männer der Bundesrepublik. Früh hat er sich kritisch mit der katholischen Amtskirche auseinandergesetzt. Nie hat er der Amtskirche verzeihen können, wie sehr sie sich mit dem Nationalsozialismus eingelassen hatte. Gemeinsam mit Heinrich Böll und Rolf Hochhuth wurde seine Kritik an der Kirche in einem offiziellen Hirtenbrief schon Anfang der 60er Jahre gebrandmarkt.

Schon in den 50iger Jahren wurde er Mitglied der Gruppe 47. 1954 erschien sein erster Roman. 1958 sein erster Erfolg: Der satirisch angehauchte Roman „Die große deutsche Tour“.

1967 – 1971 leitete er die Münchner Stadtbibliotheken. 1967 bis 1974 war er Mitglied der SPD als er mit Willy Brandt noch darauf hoffte, dass mehr Demokratie durch die SPD gewagt würde – doch als Helmut Schmidt Bundeskanzler wurde trat er wieder aus der SPD aus – vor allem wegen der industriefreundlichen Politik Schmidts.

Seit den 60iger Jahren war Amery ein Vordenker der ökologischen Bewegung. Als andere dieses Thema noch nicht einmal als Randthema erkannten, hat er bereits Kampfschriften und Romane zur ökologischen Frage verfasst. Konsequenterweise wurde er Mitgründer der Grünen Partei 1980 in der er sich die ersten Jahre stark engagierte. Aber durch die Gründung der unabhängigen E.F.-Schumacher Gesellschaft machte er früh deutlich, dass die Arbeit bei den Grünen ihm ebenfalls zu viel parteipolitische Rücksichtnahme abverlangte.

Seit 1975 schrieb er auch Science-Fiction-Romane – weil er darin die Möglichkeit sah Utopien und Anti-Utopien zu entwickeln und dabei immer wieder auf die ökologische Frage zurückzukommen.
Der streitbare Katholik starb vor sechs Jahren hier in München.

Soweit nur einige wenige dürre Fakten über das Leben Carl Amerys.
Nähern möchte ich mich dem Denken Amerys aber nicht nur über diese wenigen biografischen Wegmarken, sondern mit dem Versuch Hauptstränge seines Denkens herauszuarbeiten.

Wenn ich versuchen sollte das Hauptanliegen Amerys in einem Satz zusammenzufassen – und verzeihen sie mir diesen Versuch mit der Kürze der Zeit, die mir zur Verfügung steht – ich weiß, dass das anmaßend ist – wenn ich es also versuchen sollte, dann würde ich folgenden Satz wählen:

Wie ist Umkehr möglich?
Genau mit einem religiösen Impetus soll der Satz sein – nicht wie ist die Umkehr möglich – sondern wirklich auch mit diesem Satz verbunden Innehalten und Suche nach Umkehr an einem bestimmten Punkt seines Lebens. Dem spirituelle Innehalten der Gesellschaft.
Ich möchte diesen Satz unter verschiedenen Blickwinkeln betrachten:

1. Wie ist Umkehr möglich? Amery war tief im katholischen Glauben verwurzelt – aber nicht in der Amtskirche und ihren offiziellen Auslegungen. „Macht euch die Erde untertan“ war für ihn kein Satz der bedeuten sollte: „Macht euch die Erde untertan, beutet sie aus und zerstört sie“ „Macht Euch die Erde untertan“ bedeutete für ihn vielmehr, dass der Mensch mit diesem Satz eine ganz besondere Verantwortung der Schöpfung gegenüber hatte und hat: Wer sich die Erde untertan machen kann, ist verantwortlich dafür sie zu erhalten. Durch ein gegen den Strich Lesen der Botschaft der Bibel findet sich auch theologisch eine Möglichkeit zur Umkehr. Amery fand es verheerend, dass eine Interpretation der Aussagen der Bibel verwendet wurde um die Ausbeutung der Erde zu rechtfertigen.

2. Wie ist Umkehr möglich? Amery war den Mystikern aller Zeiten näher als den Auslegungen der Amtskirche. Ist Gott wirklich ein von seiner Schöpfung losgelöstes Wesen? Hat Gott die Schöpfung außerhalb seiner selbst geschaffen und damit seine Schöpfung unbeseelt mehr oder weniger dem Menschen zur freien Verfügung überlassen? Oder aber sind wir alle Teil der Schöpfung Gottes – und mit uns alles was uns umgibt – die Natur, die Tiere, die Pflanzen. Für den Umgang mit dem Leben und allem was uns umgibt, ist diese Vorstellung für einen gläubigen Menschen von zentraler Bedeutung. „Die Erinnerung an die unglaubliche Fülle von Schmetterlingsarten, die ich in meiner Jugend noch hier in Bayern erleben durfte, ruft in mir nicht nur freudige Erinnerung, sondern auch ohnmächtige Wut hervor; Wut auf eine Menschheit, die in blinder Allianz mit der Wüste so viele Gedanken Gottes zerstört hat.“ So schrieb Amery bereits 1976 in seiner Kampfschrift: Natur als Politik.

3. Wie ist Umkehr möglich? Umkehr muss mehr sein als ökologisches Bewusstsein und regelmäßige Mülltrennung. Umkehr bedeutet für Amery Abkehr von einer alles zerstörenden nur dem Kapital und dem Geld – dem Mammonismus – huldigenden Art zu wirtschaften. Eine Art zu wirtschaften, die uns alle ereilt hat. Sicher ist ein Schritt zur Umkehr ein ökologisches Bewusstsein zu erreichen. Aber es geht Amery um mehr: Es geht um den Schritt zur Einsicht sein eigenes Leben auch grundlegend ändern zu müssen und auch zu können. Umkehr ist die Einsicht in die Tatsache: Ich habe von allem genug und von vielem zu viel. Noch mehr zu besitzen wird mich nicht freier machen. Umkehr ist auch die eigene Umkehr – weg von einem Weg zerstörischen und selbstzerstörerischen schneller, mehr, noch mehr, alles. Diese Umkehr ist bei Amery immer auch eine spirituelle Umkehr. Halbherzige Umkehr wird nicht lange halten.

4. Wie ist Umkehr möglich? Indem wir uns anders organisieren. In seinem wohl bekanntesten Roman, Der Untergang der Stadt Passau, wo sich nach einer verheerenden Seuche im Jahre 1981 die letzten 5% der Überlebenden wieder neu organisieren – streiten sich auch zwei Formen des Wirtschaftens und Organisierens miteinander: Die einen, die Passauer die eher wieder eine Wirtschaft auf Ausbeutung der Umgebung organisieren – und die überlebenden Rosenheimer die nicht nur mich eher an selbstorganisierte Subsistenszwirtschaftler erinenrn – und an Urchristen. Auf Wachstum basierte Wirtschaft oder Kreislaufwirtschaft. Möglichst groß werden und möglichst viele Menschen durch das -Vorführen des elektrischen Lichtes nach Passau locken – oder in kleinen selbstverwalteten Einheiten für sich selbst produzieren. Wo Amerys Sympathien liegen ist sicher kein Geheimnis.

5. Wie ist Umkehr möglich? Durch das Wort. Durch das mächtige, klare, deutliche, auch mal böse Wort. Hier kommt der Aufklärer, der bayerische Prophet bei ihm durch. Er glaubt als Schriftsteller und politischer Mensch, als gläubiger Mensch unbedingt daran, dass die richtigen aufrüttelnden Worte etwas ändern können. Durch dramatische Worte will aufrütteln: „Der Menschheit wird es gehen wie der Bierhefe: Nach einer Phase gigantischen Wachstums wird sie an ihren eigenen Exkrementen ersticken.“ Bayerischer und deutlicher lässt sich das Ergebnis eines selbstzerstörerischen Wachstums nicht mehr schildern. Aber Amery war immer noch steigerungsfähig. Während er im Untergang der Stadt Passau noch jeden 20. am Leben lässt, konnte er sich in seinem Roman „Die Wallfahrer“ sehr gut eine Welt ohne Menschen vorstellen – und siehe da – das tut der Erde gut: Zwar ist diese Vision ins Jahr 49 Millionen und ein paar zerquetschte verlegt – aber die Vorstellung, dass es der Erde ohne Menschheit – vor allem ohne Überbevölkerung besser gehen würde hat ihn immer wieder beschäftigt. Warum nur hilft auch das dramatischste Wort nicht zur Umkehr?

6. Wie ist Umkehr möglich? Durch Empörung. Durch politisches Handeln. Durch lebenslanges Interpretieren der Aussagen der Bibel, durch Warnungen vor der ökologischen Katastrophe zu einem Zeitpunkt wo die meisten gar nicht wussten was ökologisch eigentlich bedeutet. Als er 1970 im Landtagswahlkampf für die SPD unterwegs war redeten alle von den Ostverträgen – Amery redete von dem Raumschiff Erde, dass im weiten Weltall dem Untergang geweiht ist, da die Menschen ihre Grundlagen zerstören. Klar dass er damit nicht wirklich erfolgreich war. 1974 sein klares Bekenntnis gegen die Wirtschaftspolitik der SPD unter Schmidt. 1980 sein Mitgründen der Grünen. Von Anfang an war er dort ein Exot. Zusammen mit linken Chaoten, Graswurzelrevolutionären, Feministinnen war er am rechten Rand der Grünen zusammen mit Heribert Gruhl und anderen Wertkonservativen. Sein Gedanke der ökologischen Spiritualität war in einer Partei der Radikalen und Basissozialisten noch eher fehl am Platz. Nach einigen Jahren hat er sein Engagement für die Grünen auch zurückgefahren. Aber: Der Wahlsieg von Winfried Kretschmann hätte ihm gefallen. Die Verbindung von Heimatverbundenheit, Konservativismus und unbedingtem Wunsch zum Erhalt der Schöpfung und starke Elemente der Basisdemokratie geben ihm im Nachhinein gegenüber vielen Grünen vielleicht noch recht.

7. Ist Umkehr möglich? Nur wenn wir wirklich umkehren wollen. Amery war jemand, der gar nicht fassen konnte, wie die Menschheit es schafft, streitend auf den Abgrund zuzulaufen. Aus Harrisburg nichts gelernt, aus Tschernobyl – nichts gelernt, aus der Ölkatastrophe im Golf von Mexico - nichts gelernt, Obama hat gerade die neuen Tiefseebohrungen gestattet. Was werden wir aus Fukushima lernen? Brecht hat mal gesagt: Der Mensch lernt aus Katastrophen soviel wie das Versuchskaninchen über Biologie. Umkehr erscheint fast aussichtslos.

8. Ist Umkehr möglich? Ich würde Amery Unrecht tun, wenn ich mit so einem pessimistischen Ende schließen würde. Amery würde sagen: Man und frau muss kämpfen. Nichts kommt von selbst und nur wenig ist von Dauer. Wir müssen den verlogenen Wirtschaftsvertretern, den Regierenden, die uns auf den falschen Weg bringen, die Masken vom Gesicht reißen – und wenn wir ihnen dabei mal so richtig bayerisch derb die Meinung sagen müssen – das werden sie schon aushalten müssen. Wir haben sie ja auch aushalten müssen. Wenn wir selbst mal ernst machen mit der Umkehr, dann kann schon viel passieren. Ein bisserl gscheid daherreden hilft halt nicht. Wichtig aber ist, dass die Empörung bleibt und der Kampfgeist und die kleinen Schritte auch nicht vergessen. Entscheidend ist, dass man kämpft.

Danken möchte ich der Monacensia, Frau Tworek, dass Sie im Rahmen der Reihe Protest in München 1945 – bis heute an Amery gedacht hat. Der Protest ist eben nicht immer links und atheistisch, sondern eben auch links und katholisch und grundlegend. Wer die eigene Tradition gegen den Strich liest und bürstet – der kann manchmal viel radikaler sein als man denkt.


Siegfried Benker | siegfried.benker@muenchen.de