Gedenken an Ludwig Quidde
 


Enthüllung der Gedenktafel für Ludwig Quidde

- Historiker, Pazifist und Friedensnobelpreisträger -

an seinem ehemaligen Wohnhaus, Gedonstraße 4

am Freitag, den 30. September 2011.

Grußwort in Vertretung des Oberbürgermeisters



Sehr geehrte Damen und Herren,

Ludwig Quidde ist ein Beispiel dafür, wie schnell auch das herausragende Wirken eines Menschen in Vergessenheit geraten kann. Viele Münchnerinnen und Münchner könnten bei Nachfrage was ihnen zu Quidde einfällt sicher noch die Quiddestraße nennen – und würden damit gar nicht falsch liegen – hat die Stadt München diese doch im Jahr 1966 bei der Errichtung des neuen Stadtteils Neuperlach nach ihm benannt. Auch die U-Bahn-Station, die automatisch den Straßennamen bekam, würden viele noch kennen.


Aber schon anders würde es sicher aussehen wenn es darum ginge nähere Einzelheiten zu Ludwig Quidde zu nennen. Der heutige Tag und die heutige Ehrung ist eine dauerhafte Erinnerung an das Wirken Quiddes als Historiker und Pazifist.

Ludwig Quidde wurde am 23. März 1858 in Bremen geboren - zehn Jahre nach der deutschen Revolution von 1848, als die Erinnerung daran noch lebendig war und von den Lehrern Quiddes, die sich teilweise selbst als „48er“ bezeichneten, die Inhalte dieser Revolution an den Schüler weitergegeben wurden. Quidde hat für seine schulische Erziehung einmal das schöne Bonmot gebraucht, er wäre „in Freiheit zur Freiheit erzogen worden.“ Sicher wurde damals bereits sein späteres Bekenntnis zur Demokratie angestoßen das sich später in seinem politischen Arbeiten aber auch in seinen Werken durchsetzen sollte.

Zunächst aber machte er in Bremen Abitur und studierte ab 1877 in Straßburg und Göttingen Geschichte, Philosophie und Wirtschaftswissenschaften. 1881 promovierte er mit einer Arbeit über König Sigmund und das Deutsche Reich in den Jahren von 1410 bis 1419.
Nichts deutete darauf hin, dass hier ein bürgerlicher Rebell und Kämpfer für den Frieden seine wissenschaftliche Karriere begann. Außer vielleicht einer ersten politischen Veröffentlichung: Bereits 1881 griff er in den sogenannten Berliner Antisemitismusstreit ein mit der Streitschrift: „Die Antisemitenagitation und die Deutsche Studentenschaft“ - eine Kampfschrift gegen den auch in studentischen Kreisen so stark vertretenen Antisemitismus.
Nach seiner Promotion wurde er Mitarbeiter an der Edition der Reichstagsakten (Ältere Reihe) bei der es sich aber um keine aktuell politische Edition handelte: Hier wurden die Reichstagsdokumente des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation ab 1376 bearbeitet.

1882 heiratete er die Musikerin und Schriftstellerin Margarethe Jacobson. Drei Jahre später starb sein Vater, was ihn durch das erhebliche Erbe von vielen wirtschaftlichen Sorgen befreite – und ihm 1906 auch ermöglichte das Jugendstilhaus hier in der Gedonstraße 4 zu erwerben. 1887 wurde er in die Historische Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gewählt – und ab 1889 wurde er leitender Herausgeber bzw. Redakteur der oben erwähnten Reichsakten.

1890 zog er mit seiner Frau nach München – noch nicht hier in die Gedonstraße, sondern zunächst in die Kaulbachstraße – um aber gleich im selben Jahr zum leitenden Sekretär des Preußischen Historischen Institutes nach Rom berufen zu werden – und wurde gleichzeitig zum Professor ernannt. Die Zeit in Rom hat seiner Ehe nicht gut getan. Ein Grund für die Rückkehr bereits zwei Jahre später, 1892, war die beginnende Zerrüttung der Ehe – eine Zerrüttung, die zwar vorhanden war, aber deswegen noch lange nicht zur Trennung führen sollte.

Als ausgewiesener Experte für die Geschichte des spätmittelalterlichen deutschen Reiches organisierte er 1893 in München den ersten deutschen Historikertag. Einer dauerhaften großen wissenschaftlichen Karriere stand nichts im Wege.

Auf diesem Historikertag aber zeigte sich bereits – wie auch in den folgenden Historikertagen in anderen Städten, dass Quidde sich nicht den allgemeinen Schlussfolgerungen der Historikerzunft anschließen wollte: ER wollte aus der Geschichte des Mittelalterlichen Deutschlands keine deutschnationalen Aufgaben für die Gegenwart herauslesen, sondern sah mit Kaiser Wilhelm II. vielmehr einen Cäsarenwahn einhergehen, der Deutschland schaden konnte. Dementsprechend verfasste er 1894 eine seiner erfolgreichsten Schriften: Caligula – eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn.

Klar, wen er hier mit Caligula verglich. Allein die Tatsache, dass diese Schrift mehr als 30 mal neu aufgelegt werden musste, zeigte, dass er offensichtlich einen Nerv der Stunde getroffen hatte. Doch für seine wissenschaftliche Karriere bedeutete diese Streitschrift das Aus. Seine Zeitschrift, die Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft musste er einstellen. Der Vorwurf der Majestätsbeleidigung wurde gehen ihn erhoben – aber erst eine weitere Äußerung kurze Zeit später, als er es als eine „Lächerlichkeit und politische Unverschämtheit“ bezeichnete, dass es eine Gedenkmedaille auf Wilhelm den Großen (!) geben sollte brachte ihn für drei Monate nach München Stadelheim ins Gefängnis. Man kann sich auch heute noch vorstellen wie sehr ihn dies aus allen wissenschaftlichen Kollegien herauskatapultierte.

Dies bedeutete für Quidde einen deutlichen Bruch in seinem Leben – ein Bruch aber, den er auch bewusst riskiert und mit herbeigeführt hatte. Dank seiner finanziellen Unabhängigkeit konnte er auch ohne wissenschaftliche Anstellung aktiv sein. Ungefähr zeitgleich mit seinen politische Äußerungen hatte er sich auch der Deutschen Volkspartei angeschlossen, die für demokratischere und föderale Strukturen und gegen die Vormacht Preußens im deutschen Reich eintrat. Mit seiner antimonarchischen und republikanischen Haltung war er darüber hinaus auch noch bereit, punktuell mit den immer wieder verfolgten Sozialdemokraten zusammenzuarbeiten.

Er fungierte als Herausgeber der Münchner Freie Presse, die sich kritisch mit aktuellen Geschehnissen auseinandersetzte. Er übernahm den Landesvorsitz seiner Partei und setzte ein deutlich antimonarchistisches Programm durch. Von 1907 bis 1918 wurde er immer wieder in den bayerischen Landtag gewählt.

Einer seiner Schwerpunkte wurde der Kampf gegen Krieg und Militarismus . Ab 1899 leitete er die Deutschen Delegationen bei den Weltfriedenskongressen. 1907 organisierte er den Weltfriedenskongress in München, 1913 veröffentlichte er einen Entwurf zu einem internationalen Vertrag über den Rüstungsstillstand. Im Mai 1914 wurde er Vorsitzender der Deutschen Friedensgesellschaft – und blieb dies bis 1929. Trotz der teilweise heftigen Kritik: Erich Mühsam beispielsweise, der die bürgerlichen Pazifisten ablehnte und einen klaren kämpferischen Antimilitarismus forderte schrieb am 18. September 1914, also wenige Wochen nach Beginn des I. Weltkrieges in sein Tagebuch: „Eine amüsante Nachricht. Professor Quidde aus München ist nach Holland gereist und will eine ständige Verbindung zwischen den „internationalen“ Pazifisten schaffen. Ich kenne doch den eingebildeten alten Laffen Quidde. Er will sein Röllchen spielen und den Nobelpreis kriegen.“ Aus diesem unfreundlichen Zitat Mühsams lässt sich dreierlei herauslesen: Zum einen den tiefen Streit in der Anti-Kriegs-Bewegung der später auch zum Bruch zwischen bürgerlichen Pazifisten und sozialrevolutionären Antimilitaristen führen sollte. Zum zweiten, dass Mühsam eine prophetische Gabe hatte, denn 13 Jahre später bekam Quidde bekanntlich den Friedensnobelpreis – und zum dritten, dass Mühsam bei aller Gegnerschaft zum bürgerlichen Pazifismus anerkennen musste, dass Quidde nationales und internationales Gehör für seine Friedensbemühungen fand. Und aus anderen Zeitdokumenten wissen wir, welchen Hass Quidde damals auf sich zog.

Es hat damals einen herausragenden Mut erfordert, der heute nicht mehr vorstellbar ist, in einer Zeit nationaler Besoffenheit, wo der Krieg und der Sieg nur eine Frage von Wochen schien und jubelnde Menschenmassen den Krieg feierten, aufzustehen, ins Ausland zu reisen, Gleichgesinnte zu suchen – was schwierig war – und dann öffentlich zum Frieden aufzurufen.

Quidde war den Radikalen nicht radikal genug aber für das bürgerlich-konservativ- deutschnational gesinnte Bürgertum eine andauernde Provokation – aber er war eine pazifistische Persönlichkeit um die niemand herum kam. Lange vor anderen war er sich sicher, dass es eine rüstungsverhindernde Verrechtlichung der internationalen Beziehungen geben sollte. Er forderte bereits einen internationalen Strafgerichtshof, war gegen die Todesstrafe und trat für die bürgerlichen Ideale der Märzrevolution ein.

Während des I. Weltkrieges kam es zum völligen Bruch mit seiner Ehefrau. Neben anderen privaten Differenzen kam hinzu, dass seine Frau immer stärker nationalistische Inhalte vertrat. In dieser Zeit lernte Quidde die deutlich jüngere Charlotte Kleinschmidt kennen, mit der er eine Tochter haben sollte und mit der er sein ganzes restliches Leben zusammenblieb. Sie folgte ihm auch in die Schweiz ins Exil.

Nach dem I. Weltkrieg wurde Quidde kurzfristig Vize-Präsident des Provisorischen Bayerischen Nationalrates – kurz darauf Abgeordneter in der Weimarer Nationalversammlung. Er trieb seine friedenspolitischen Aktivitäten voran.

Ein Höhepunkt seiner Aktivitäten war 1924: In seinem Artikel Die Gefahr der Stunde über die sogenannte „Schwarze Reichswehr“ deckte er die aufgrund des Versailler Vertrages verbotenen Aufrüstungstätigkeiten der Deutschen Reichswehr auf. Damit galt er natürlich als Nestbeschmutzer. Er wurde des Landesverrates angeklagt und inhaftiert, aber durch eine internationale Unterstützungskampagne sowie die Intervention von Außenminister Stresemann bald wieder entlassen. Ernstzunehmende Morddrohungen rechtsextremer Kreise haben ihn damals fast ein Jahr von München ferngehalten. Und wer die Fememordgeschichte in München der frühen 20er Jahre in Erinnerung hat, weiß, dass er sicher gut daran getan hat.

1927 erhielt er zusammen mit dem französischen Pazifisten Ferdinand Buisson den Friedensnobelpreis. Eine Anerkennung seiner unermüdlichen Bemühungen des Ausgleichs auch mit Frankreich nach dem I. Weltkrieg. Aber vor allem für seine permanente Arbeit, der Internationale der Kriegstreiber in allen Ländern eine Internationale des Pazifismus entgegenzustellen.

In den Folgejahren sollte es zum Bruch mit der Deutschen Friedensgesellschaft und allen radikalen Kriegsgegnern kommen. Während radikalpazifistische Strömungen die Ächtung aller Kriege und soziale Revolution forderten, blieb Quidde ein liberal bürgerlicher Demokrat.

Mühsam versuchte er nach dem Rücktritt aus allen Ämtern wieder politisch Fuß zu fassen. Doch hierfür sollte er nicht mehr viel Zeit mehr haben. Nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren blieb ihm nur das Exil. Er floh in die Schweiz, wo er 1941 – vor 70 Jahren nahezu mittellos starb.

Quidde ist immer gegen den Strom geschwommen. Obwohl ihm eine sorgenfreie Zukunft in akademischen Kreisen möglich gewesen wäre hat er Position bezogen auch wenn sie ihm selbst geschadet hat: Gegen Wilhelm II. und dessen Größenwahn, was ihm seine Karriere gekostet hat, gegen den I. Weltkrieg und den verordneten oder wirklichen Siegestaumel darüber, was ihn zur Hassfigur aller deutschnationalen Kräfte machte. Er hat die Wiederaufrüstung der deutschen Wehrmacht vor aller Welt offen gelegt, als alle versucht haben hier wegzuschauen, was ihn dem Hass der Rechtsextremisten ausgesetzt hat. ER hatte gerade wegen seiner Seriosität immer das Renommee um auch Gehör zu finden. Unermüdlich hat er versucht pazifistische Strukturen aufzubauen.Denn es war ihm immer klar: Frieden kommt nicht von selbst und wenn Frieden da ist muss er mehr sein als die Abwesenheit von Krieg. Frieden muss verteidigt werden.

Sicher hat Quidde mit Rosa Luxemburgs Denken nicht viel anfangen können. Aber ein Satz von ihr trifft auf Quidde zu wie kein zweiter: Die wirklich revolutionäre Tat ist immer zu sagen : Was ist!

Quidde hat immer gesagt was ist, auch wenn es ihn alles gekostet hat. Heute kann München stolz sein, dass es in dieser Stadt auch eine solche Tradition des aufrechten Ganges gibt. Diese Stadt ist voll mit Reitermonumenten und Kriegsdenkmälern und Gefallenenehrungen.

Mit dieser Gedenktafel erinnert die Stadt heute an jemanden der keine Armeen hinter sich hatte sondern nur seine tiefe Überzeugung: Der Weg zum Frieden heißt: Aus der Geschichte lernen und Demokratie verteidigen.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören und dafür, dass Sie gekommen sind, um an Ludwig Quidde zu erinnern.






Siegfried Benker | siegfried.benker@muenchen.de