Siegfried Benkers letzte Rede vor dem Stadtrat
 


Abschiedsrede in der letzten Vollversammlung am 19. 3. 2013


Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
Frau Bürgermeisterin,
Herr Bürgermeister,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe hauptamtliche StadträtInnen,
sehr geehrte Damen und Herren der Verwaltung


1984 fing ich als Mitarbeiter der ersten Grün-Alternativen Stadtratsfraktion an, wurde 1990 Mitarbeiter von Bürgermeisterin Sabine Csampai und ab 1995 Stadtrat – und ab 1996 Fraktionsvorsitzender meiner Fraktion, was ich bis 2012 blieb – und wurde damit vermutlich der dienstälteste Fraktionsvorsitzende aller Zeiten.

Da könnte ich jetzt natürlich eine ganze Reihe wehmütiger Geschichten erzählen. Zum Beispiel, von der Vollversammlung, die bis 2.00 Uhr morgens ging und wir zum Schluss von Mitternacht bis zum Schluss über das Vorkaufsrecht für die Agnesstraße 66 diskutierten – ob noch alle wach waren, kann ich nicht betätigen.

Oder die wirklich denkwürdige Sitzung als wir über die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ inbrünstig stritten, die CSU dann auszog – außer Herrn Forchheimer – und Herrn Zöller, der nur halb auszog und auf der Zuschauertribüne Platz nahm – und dann aber, wie die SPD spät am Abend merkte, dass sie jetzt ja die absolute Mehrheit hatte für ganz andere Abstimmungen und wir einen Durchmarsch nur verhindern konnten, indem wir auch noch auszogen - und damit die Beschlussfähigkeit nicht mehr vorhanden war.

Ich könnte aber an Vollversammlungen erinnern, die gerade wegen ihrer Geschlossenheit ein Zeichen gesetzt haben – wie die Abstimmung zum jüdischen Zentrum am Jakobsplatz und zum Bau des NS-Dokuzentrums – ich erinnere mich natürlich auch an Abstimmungen, wo speziell unsere Basis getobt hat – ich nenne nur Bewerbung um die Olympischen Spiele.

Aber genug der Wehmütigkeit. Die Frage ist, was habe ich gelernt – und was kann ich Ihnen für die Zukunft mitgeben? Ich kann meine Erfahrungen eigentlich in zehn Sätzen zusammenfassen:

1. Glauben Sie niemals dem Satz: „Das haben wir juristisch abschließend geprüft“.

2. Werden Sie hellhörig bei dem Satz: „Mit der neuen IT können endlich alle Herausforderungen bewältigt werden.“

3. Besonderes Augenmerk verdient der Satz: „Die neue IT-Maßnahme wird dauerhaft zu Einsparungen führen.“

4. Immer für eine Nachfrage gut ist auch der Satz: „Die Maßnahme amortisiert sich innerhalb der nächsten 2 Jahre.“

5. Mißtrauen Sie grundsätzlich dem Wort „Synergieeffekt.“ Noch mehr der Mehrzahl: „Synergieeffekte“

5. Für den Kulturbereich warne ich vor Sätzen von Künstlern der Art: „Das besondere an der Intervention besteht darin, dass sie nicht bemerkt wird.“

6. Für Architekturjurys würde ich folgenden Satz Ihrer Aufmerksamkeit empfehlen: „Die Schlichtheit der Linienführung wird das Gebäude ganz besonders zurückhaltend interpretieren.“

7. Für den Datenschutzbereich ist immer interessant: „Die Maßnahme ist datenschutzrechtlich unbedenklich“

8. Damit nicht alle Sätze so gegen die Verwaltung gemünzt sind: Liebe Verwaltung: Wenn ein Stadtrat aufsteht und eigentlich nur mit vielen Worten sagt: Wir bedanken uns bei der Verwaltung – Liebe Verwaltung – weisen Sie diesen Satz zurück. Fordern Sie die echte Debatte.

9. Der Satz, den ich immer vermisst habe: Die Verwaltung bedankt sich beim Stadtrat für seine/ihre Initiative. Denn auch StadträtInnen bringen was voran.

10. Als letztes : Glauben sie bloß nicht den Aussagen der Umfragen, wie beliebt oder bekannt oder unbeliebt oder unbekannt sie sind. In Zeiten, in denen ich fast täglich in der Presse stand, sank mein Bekanntheitsgrad kontinuierlich, in Zeiten in denen regelmäßig böse Kommentare zur mir kamen, stieg mein Beliebtheitsgrad - und umgekehrt. Stellen Sie sich gut mit der Presse – aber glauben Sie nicht, dass Sie alle erreicht. Den letzten völlig verwunderten Anruf, dass ich zurücktrete, habe ich gestern nachmittag erhalten.

Glauben Sie noch nicht einmal, dass jede weiß was ein Stadtrat ist. Unvergessen mein Besuch im Lenbachhaus. Ich habe meinen Stadtratsausweis vorgezeigt und um kostenlosen Eintritt gebeten – woraufhin die Kassiererin an der Kasse sagte: Stadtrat, was soll denn das sein. Beschämt, weil immer gleich alle in der Schlange einen seltsam ansehen habe ich Ihr versucht die Funktion eines Stadtrates zu erläutern. Sie hat dann ihren Vorgesetzten gefragt und missmutig hat sie mir eine Freikarte gegeben. Nach der Vorstellung habe ich den Ausstellungskatalog geholt und wollte gerade zur Kasse als diese Kassiererin mir zurief: Den kriegen Sie aber nicht umsonst.

Alles zusammen – verstehen Sie diese Zusammenfassung aus knapp 30 Jahren Mitarbeiter- und Stadtratstätigkeit als Aufforderung, auch als einzelner Stadtrat/einzelne Stadträtin geistig unabhängig zu agieren.

Rousseau hat es klar erkannt: „Der Mensch ist frei geboren – und doch ist er verliebt in seine Ketten.“

Damit hat er natürlich uns StadträtInnen gemeint. Ich gebe meine Kette zurück – damit erhalte ich natürlich einerseits mehr Freiheit – habe mich aber freiwillig an ein Unternehmen der Stadt München gebunden.

Ich möchte dort ebenfalls zum Wohl der Stadtgesellschaft arbeiten – und hoffe damit auch die Kritiker meiner Wahl letztendlich zu überzeugen.

Viele werde ich in meiner anderen Funktion wiedersehen und ich freue mich parteiübergreifend auf die Zusammenarbeit. Seien Sie gut zu mir - irgendwann kommen Sie alle in meine Häuser.

Ich wünsche Ihnen alles Gute

Siegfried Benker | siegfried.benker@muenchen.de